„If I Were A Dancer And I Had A Square“, Kulturfrauenballett, Teil 2, ein Projekt von Tanja Brandmayr in Kooperation mit Kunstraum Goethestrasse xtd., 2016. Fotos, Videos, Tanzpraxis, Recherche und performative Inszenierung.
Während der verschiedenen Projektphasen und vor allem auch in der anschließenden Reflexion ist dieser Text entstanden, der besonders in seinem erweiterten Material- und Kollektivverständnis auf den Quasikunst-Begriff referiert.
If I Were A Dancer And I Had A Square
8 gedankliche Bewegungen über das Kulturfrauenballett, Teil 2. Von Tanja Brandmayr.
1 Was ist das Kulturfrauenballett?
Das Kulturfrauenballett setzt sich aus Frauen zusammen, die in unterschiedlichen Feldern der Kunst und Kultur arbeiten – nur nicht im Tanz. Wir haben viele Tätigkeitsfelder versammelt, zum Beispiel Performerin, Kulturjournalistin, Künstlerin, Stadtteilarbeiterin, Kuratorin. Es gibt also, außer mir selbst, kein herkömmliches darstellerisches Personal im Ballett. Im ersten Teil, der 2013 präsentiert wurde, waren Titel und Thema deshalb sogar: „If I Were A Dancer, Then …“. Damals wurde durch die Herstellung eines jeweils individuellen Bildes als Tänzerin und danach durch die gemeinsame Tanzpraxis dieser Konjunktiv selbst ins Zentrum der Auseinandersetzung gestellt. Das „If I Were“ war, wenn man so will, eine große spielerisch-unbekannte Möglichkeitsform. Diese spielerisch-unbekannte Möglichkeitsform war einerseits selbst Thematik, andererseits eröffneten sich exemplarisch spezielle Fragestellungen in diesem Zusammenhang: Zu welchen zeitgenössischen Tanzformen tendiere ich? Welche Pose würde ich einnehmen? Wie ist es, wenn nach dem Entwurf dieses Wunschbildes tatsächlich getanzt wird, wenn ich mich sozusagen der Realität des Tanzes, des Körpers und des Tuns stellen muss – gemeinsam mit den anderen, die auch mit etwas Neuem konfrontiert sind?
Das ist vielleicht sogar das größere Setting des Kulturfrauenballetts: Die Tanzfläche als exemplarisch „Anderes“, als Möglichkeit und Transformation. Der Ballettkörper besteht aus professionellen Akteurinnen im Kunst- und Kulturfeld, aber nicht aus Tänzerinnen. Deshalb ist sicher ein großes Anliegen die Transformation selbst, um zu etwas Anderem zu kommen. Die Behauptung ist nun, dass sich die vorhandene professionelle Expertinnenschaft anders überträgt, eben nicht mit der direkten Expertise zu etwas, sondern als strategisch Offenes; das sich exemplarisch in den Tanz und gleichzeitig eben auf das größere gemeinsame Ganze überträgt. Weil es auch um dieses gemeinsame Ganze des „Balletts“ geht, integriert es auch den Begriff der Zusammenarbeit. Es thematisiert aber vielmehr ein Zusammenwirken, das per se nicht näher definiert ist. Denn Zusammenarbeit stellt ja eher den konkreten Plan und das konkrete Ergebnis ins Zentrum des Tuns. Dieses Zusammenwirken baut im Prozess nicht auf direkte Umsetzung auf, sondern eben auf unbestimmte Transformation und das Offene an sich.
Das ist kein ganz leichtes Unterfangen, das mit Widersprüchen arbeitet. Der größte dabei ist schon alleine, dass wir gleichzeitig keine Tänzerinnen sind und das ja doch behaupten: als Kulturfrauenballett, das aber immerhin in seinen Titeln den Konjunktiv wählt. Das zeigt nun auch der Titel dieses zweiten Teils des Kulturfrauenballetts „If I Were A Dancer And I Had A Square“. Wir sind hier zwar nicht „square“, aber wir haben uns sozusagen einige Squares angeeignet. Wir nehmen uns zuerst Raum – als Boden und Basis für den Tanz und sein choreographisches „in-den Raum-Schreiben“, was Choreographie ja umgelegt bedeutet. Aber, und jetzt der weitere Gegensatz: Nach diesem oben genannten ersten Teil, der eher die eigene Möglichkeit des Dancers selbst thematisiert hat, geht es im zweiten Teil auch um diese quadratische Fläche und den gemeinsamen Raum: Die Bewegung im exemplarisch aufgeschlagenen Quadrat hat den Aspekt der Kollektivität befördert – denn es ist unmöglich, eine gemeinsame Choreographie in einem Quadrat auszuführen, ohne gleichzeitig sich selbst und den anderen gegenüber höchst aufmerksam zu sein. Wir haben hier ohne Musik gearbeitet, neben dem Sehen außerdem den Atem als weitere Qualität der Aufmerksamkeit dazu genommen. Das Quadrat steht hier sozusagen für ein Feld des Individuellen wie Kollektiven. Dieses Thema des Gemeinsamen und des Individuellen wurde in der Tanzpraxis selbst zutage gefördert um es zwischen Reden und Bewegung hin und her zu transformieren. Zuletzt sind mehrere Varianten von relativ reduzierten Bewegungspatterns entstanden, die mit speziellen Orten kontextualisiert wurden. Die Raumnahme dieser Quadratflächen führte dann später in erweiterte öffentliche Räume und die Natur.
2 Der Begriff der Professionalität.
Dieser Begriff ist deshalb relevant, weil das Kulturfrauenballett nicht aus professionellen Tänzerinnen besteht und bewusst mit einer Verschiebung hinsichtlich „Professionalität“ arbeitet. „Professionell“ ist zumindest manchmal ein abgespultes Rezept zur Herstellung von bestimmten Oberflächen. Besonders in der Kunst ist das kritisch zu hinterfragen, denn unreflektiertes Produzieren nach Schema X will ein künstlerisch angelegter Prozess an sich nicht. Andererseits spüren aber viele Tätigen im kulturellen Feld starke Reglementierungen, Disziplinierungen oder „Sachzwänge“, auch und trotz ihrer Professionalität. Diese offen angelegte Transformation des Professionsbegriffs ist damit ganz zentral. Zur „Professionalität“ sagt das Kulturfrauenballett zwar ja, aber auch gleichzeitig nein. Soweit zu einer Konstruktion von Rahmenbedingungen, die andere Fragen stellt; oder zu einem anderen Setting, das in gewisser Weise anderes Material unter den Oberflächen hervorholen soll. Ohne dass dieses Material gleich in bestimmte Aussagen hineingeführt werden soll. Im Prinzip ist dieses Ballett zuerst eine völlige Leerfläche, um darauf ganz Verschiedenes zu versammeln, diverses Material, und dann in einer Anhäufung von methodischen Zugängen das Wollen und die Intention zu thematisieren: Denn ganz im Kern thematisiert sich das Kulturfrauenballett selbst. Mit seinem „immateriellen Material“, das jede einzelne sozusagen ganz selbstverständlich als Wissens- und Erfahrungsumfeld mitbringt. Unser Material ist also auch das Wissen und die Erfahrung der Einzelnen und der Gruppe. Daraus entwickeln sich Fragestellungen. Oder diese Fragen waren schon da und haben sich sozusagen parallel zur Bewegung herausgearbeitet. Wir haben in diesem zweiten Teil oft über dieses Verhältnis von Individuum und Kollektiv gesprochen und probiert, wo und wie die Verständigung darüber passiert. Was wollen wir als Gruppe und Einzelpersonen innerhalb dieser methodischen Tools und Beschlagwortungen – wo sind unsere Freiräume, wo ist unser persönliches Square, auf dem wir uns bewegen können? Wo ist unser Dancefloor? Der Dancefloor und das Square waren durchaus direkt gemeint, aber auch im übertragenen Sinn.
Jede von uns besteht ja zudem, sozusagen in sich, auch aus einer Ansammlung einer unendlich großen Anzahl von Bildern, Referenzen, Einflüssen, Menschen, Dingen, Gegenständen, Gedanken, etc. Ich habe mich etwa in einer Überlegung zu Beginn einmal selbst als Kollektiv zu verstehen versucht: Von den Menschen und Dingen, die mir wichtig sind; diesen, sagen wir zehn wichtigen Dingen und Zusammenhängen, die etwas Bestimmtes für mich bedeuten. Ich habe in dieser Überlegung, mich zuerst einmal selbst als mein eigenes Kollektiv zu verstehen, in einer praktischen Umsetzung mein eigenes inneres Kollektiv beispielhaft mit Büchern gemacht. Das ginge natürlich auch mit andern Dingen, mit Menschen, dem Bild eines Tieres, einem Kunstgegenstand, mit Essen oder einer Topfpflanze, überhaupt mit allem und auch mit mehr als zehn Dingen. Aber, generell: Stell dir vor, du verstehst dich zuerst selbst als inneres Kollektiv. Und mit diesem eigenen inneren Kollektives trittst du dann in Kontakt mit den anderen Menschen, die auch ihre eigenen inneren Kollektive um sich ausbreiten. Mit dieser Idee wird es dann gleichermaßen kompliziert wie interessant, sich danach überhaupt erst und vielleicht irgendwann als Teil eines Kollektivs mit anderen Menschen sehen zu können. An einem Punkt meiner persönlichen Überlegungen zum Ballett und seiner prinzipiell völlig offenen Definition war dies auch tatsächlich ein zentraler Punkt, sozusagen mit genau diesem Ansatz, der auch die Materialfrage betrifft, vorzugehen. Nicht nur mich und die teilnehmenden Personen als Tänzerinnen“material“ zu sehen, sondern sozusagen jede Teilnehmerin zuerst als ihr eigenes inneres Kollektiv zu verstehen, und dieses Immaterielle auch als Material zu verstehen. Eine Zugangsweise, die für Frauen aus dem zeitgenössischen Kulturfeld gerade mal gut genug ist. Und für diese Behauptung ließen sich auch sicher einige ältere und neuere Referenzen aus Kunst, Philosophie, Soziologie und Kulturtheorie finden. Jedenfalls, die Behauptung für die erweiterte Materialfrage: Im Inneren einer einzelnen Person wohnen zuerst viele Dinge. Und auch diese Dinge treten miteinander in Kontakt. Zum Beispiel wohnen in mir, wie eben auch in den meisten anderen, neben den vielen angesprochenen Dingen, Gegenständen, Menschen, Gedankengebilden, emotionalen Zusammenhängen, auch unterschiedliche auseinanderdriftende berufliche Zusammenhänge. Das ist ja bei vielen Menschen so, bei beinahe bei allen Protagonistinnen des freien Kulturschaffens: Viele berufliche und auch private Arbeits- und Tätigkeitsfelder müssen vereinbart werden. Deshalb fiel es den teilnehmenden Kulturfrauen vielleicht auch gar nicht schwer, jetzt noch ein Ding dazu zu nehmen: Na gut, wir sind jetzt auch noch Tänzerinnen. Schauen wir mal. Es ist ja außerdem auch ein Versuch, wie oben schon gesagt, des Zusammenwirkens und nicht des Zusammenarbeitens. Das macht das ganze offener und unbeschwerter.
3 Die konkrete Methode und Umsetzung.
In der Tanzpraxis wurden gemeinsame Felder konkret und deutlich definiert – eben in Form mehrere markierter Quadrate auf dem Boden. Innerhalb dieser Quadrate mit zwei Metern Seitenlänge haben wir dann Bewegung und eine Choreographie erarbeitet und gemeinsame Impulse ausgelotet, die auf einer nichtsprachlichen Ebene das gemeinsame Momentum untersuchten. Das ergab eine hochkonzentrierte Arbeit, mit jeweils ein bis vier Personen im Quadrat, sozusagen als Arbeit „mit mir und den anderen“, die in mehrere Varianten im Bereich der Tanzpraxis ausgeführt wurde – in einer unglaublich schönen Variabilität und mit einer derartig faszinierenden Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit, dass es wirklich schade ist, dass es aus diesem ganzen Tanzpraxis-Teil keine Aufzeichnungen darüber gibt. Was wiederum Abmachung war – um nicht von vorneherein bestimmte Dinge herzustellen. Das Thema des Quadrats hat innerhalb unserer Tanzpraxis jedenfalls für weiteren Gesprächsstoff gesorgt. Und insofern hat das Kulturfrauenballett in der inszenatorischen Umsetzung einige Zeit später verschiedene einzelne Quadrate in erweiterten öffentlichen Räumen aufschlagen und die Behauptungen hinsichtlich Individuum und Kollektiv, choreographischer Planung und persönlicher Ausdeutung der Überprüfung unterzogen, eine Überprüfung, die ohne konkretes Ergebnis geblieben ist. Dieser Teil einer inszenatorischen Umsetzung, bzw eines gewählten Settings wurde jedenfalls filmisch und fotografisch dokumentiert – und ist eben in eine Präsentation geflossen.
4 Ansätze hinsichtlich einer unbestimmten tänzerischen Ästhetik oder Tradition.
Wichtig ist zuerst Bewegung, die sonst nicht im Zentrum der Tätigkeit steht. Diese vorsichtige Formulierung soll ausdrücken, dass wir zwar keinerlei Illusionen über unsere Tänzerinnenschaft haben, uns aber schon erlauben wollen, mit zeitgenössisch-technischem Grundvokabular und anderen Vorgaben aus dem Referenzfeld des Tanzes zumindest lustvolle Reibungsflächen zu erzeugen. Diese Beschäftigung mit Bewegung wird allerdings wieder anders transformiert, als dass es schön und richtig werden muss. Dazu passt, was jetzt rein die Ausführung von Bewegung betrifft, eine bestimmte Erkenntnis aus einem Bewegungszugangs, eine Methode eines gering definierten bewegungsökonomischen Aufwands. Das ist sozusagen einer meiner persönlichen Lieblingsansätze der Bewegung, meines Erachtens hochaktuell: Die müde Bewegungsökonomie. Mach mit möglichst wenig Aufwand einen Impuls an Ergebnis. Das ist in hyperaktiven Zeiten geradezu hochinteressant: die Müdigkeit und die Vorstellung, die Dinge in Müdigkeit auszuführen. Und damit die Untersuchung, wo der notwendige Impuls, die Impulse herkommen – das wird in einer heruntergefahrenen Bewegungsökonomie viel klarer. Und darauf lässt sich dann aufbauen. Und es lässt die nichtsprachliche Kommunikation über diese Impulse zu. Diese Untersuchung machen übrigens tänzerische Nicht-Professionistinnen hochkonzentriert und sehr überzeugend. Ganz generell bewegt sich das Bewegungsspektrum am zeitgenössischem Tanz, aber da auch eher an einer losen Grenze des Alltäglichen zum Artifiziellen, wie viel kann man integrieren, dass es zwar nicht mehr Alltagsbewegung ist, aber auch noch nicht wirklich Tanz. Man merkt, es ist mehr als Alltag. Bevor es aber etwa als Tanz einordenbar wird, sagt der Ballettkörper dann schnell: „Nein, Tanz bin ich doch nicht“, und macht gerade noch die Kurve zu etwas anderem. Die Frage wäre dann logischerweise: Aber zu welchem anderen? Dieses offen gehaltene Andere ist dann vielleicht genau wieder die Leerstelle, die es weiter offenzuhalten gilt. Generell ist das Interesse hier ein freieres, deshalb vielleicht der paradoxe Rückgriff auf den Ballettbegriff. Denn den Ballettbegriff mit einem Haufen Nicht-Könnerinnen des Balletts, einschließlich mir, ernst zu nehmen, das wäre ja geradezu absurd. Stattdessen: das tänzerisch möglichst reduzierte Arbeiten und trotzdem die hochseriöse eigene Überprüfung. Man könnte vielleicht sagen, dass dies alles Fluchtpunkte einer gut angelegten auseinanderdriftenden Konstruktion sind: Ich und die Kunstform, ich und die Kunstsparten, ich und die anderen. Ich und die Müdigkeit. Ich und etcetc.
5 Andere Diskurs- und Kunstkontexte.
Über den Kollektivbegriff als solchen wurde in den verschiedenen Gruppenkonstellationen öfters geredet. Ich glaube, es gibt dazu keine Einigkeit. Aber wir haben uns als Gruppe in Gedanken und Praxis mit kollektiven Aspekten auseinandergesetzt. Man kann sagen, wir haben Überlegungen zur Kollektivität in Bewegung transformiert. Wir verstehen uns sicher nicht als Kollektiv im eigentlichen Sinn. Und das müssen wir auch nicht: Denn wir sind ja ein Ballett. Das wir wiederum auch nicht sind.
Der Begriff der Performance ist vielleicht auch hilfreich, als experimenteller, prozesshafter, fragmentarischer und körperlich angelegter Akt der Subjekte. Die Performance ist meines Wissens auch gekennzeichnet als definitorische Verwandlung des „Metaphysischen“ ins Physische: Schreien, Agieren, nackte Körper, etc, … versus die metaphysischen Ideen zuvor. Die Bilder und Klischees dazu sind bekannt: „Das Andere“ wird sozusagen hier durch direkte Aktion und Wirkung körperlich erfahrbar, und selbstredend wurde das von den jeweiligen Zeitgenossen zuerst oft mit Befremden wahrgenommen. Das Kulturfrauenballett tickt hier anders, hat aber im Prozesshaften und natürlich auch im Körperlichen auf jeden Fall auch ein Kerninteresse. Andererseits ist es gegenüber dieser oben genannten Performance-Definition des ausagierten Körperlichen fast rührend ignorant und beiläufig klassisch. Das Andere und das Befremden tauchen aber wieder auf, ich glaube, gerade mit der offenen Fragestellung, was denn dieses Ballett eigentlich sei – und vielleicht wegen dieser Geste des Hereinholens eines nicht näher definierten Immateriellen. Das geschieht nicht als proklamierte Hinwendung zu einer „neuen künstlerischen Form“ oder spektakuläre Ablehnung einer „überkommenen Form“, sondern als gut konstruiertes, rätselhaft unspektakuläres Paradox in einem gegensätzlich angelegten Setting: als reine Abstraktion der Leerfläche, die dennoch Tanzfläche ist, als Abstraktion einer Wiederintegration, einer Metapher über eine Leerfläche des Könnens. Denn das Nichtvermögen als professionelle Tänzerin muss durch Erproben und anderes professionelles Wissen kompensiert werden. So ein Gestus einer Wiederintegration eines Unbekannten, eines „Anderen“, ist eine persönliche Strategie oder Annäherung, die zwangsläufig gemacht werden muss, wenn etwas wie ein Ballett gemacht werden will, aber das Ballett selbst eine Leerstelle ist und die Professionalität der jeweiligen Sparte nicht bemüht werden kann, weil sie schlichtweg nicht vorhanden ist. So gesehen kann man die untergründige Materialität jeder Einzelnen sozusagen als Hoffnung ins Treffen führen. Jede Einzelne bringt ihrerseits Dinge mit, von denen man nicht genau weiß, wie sie einfließen. Ein sehr abstraktes Setting einerseits. Andererseits hat es uns viele staunende, praktische und auch lustige Erlebnisse gebracht – in Tanzpraxisstunden, die, falls sich das so anhört, weniger das Innere aus uns herausagitiert haben, oder gar irgendwie theoretische Anstrengung bedeutet haben, als dass sie ein großes, amüsiertes Fragezeichen beim Tanzen stets über den Köpfen und Körpern präsent hielten. Abgesehen von dieser neugierigen Bewegungslust, haben wir uns in dem vorhin angesprochenen konkreten Bewegungsaspekt der Müdigkeit sehr gut verstanden. Und natürlich gab es zahlreiche andere Aspekte. Das Lustvolle kam aber auch aus einem großen Ausatmen, bevor wieder eingeatmet wurde.
6 Referenzen aus der Kunst.
Generell ist es schwierig, Referenzen zu benennen. Es geht eher um gut angelegte und weit auseinanderdriftende Gegensätze. Es ist immer ein gleichzeitiges Ja und Nein sagen in diesem Ballett. Es wurde im herkömmlichen Sinn auch gar nichts direkt umgesetzt. Wir wollten ja von vorne herein keine klassischen Umsetzungen von irgendetwas machen, eines performativen Tanzstückes etwa, auch keine Sichtbarmachungen von uns als einzelne Individuen. Stattdessen sind und waren das alles sozusagen nur permanente Annäherungsversuche. Auch an Umstände, in denen wir leben und die wir nur zu gut kennen. Dieses Sichtbarmachen von uns als Kultur- und Kunstfrauen etwa … da gab es zuerst eine lose Referenz auf die US-amerikanische Künstlerin Carolee Schneemann, die festgestellt hat, dass sie, in den 1960er Jahren, im Gegensatz zu den großen männlichen Künstlerstars zwar ihre weiblichen Kolleginnen gekannt hat, aber nie gewusst hat, was sie als Künstlerinnen eigentlich gemacht hatten. Carolee Schneemann stellte das vor einigen Jahren in einem Interview fest, sie sprach über eine Kollegin, sinngemäß: „I knew her. But I Never Knew, What She Did As An Artist“. Das hat schon was Bitteres. Beim Kulturfrauenballett wurde in einer bestimmten Phase zu Beginn darüber öfters gesprochen. Den Ausspruch habe ich variiert. Zu einer Paraphrase, die einerseits dieses Bedürfnis nach Auseinandersetzung und Anerkennung aufgenommen hat, andererseits aber dann bald geheißen hat: „I never knew, what she did as a dancer“. Das war eine ganz freie Assoziation, denn das Kulturfrauenballett hat mit Carolee Schneemann wahrscheinlich direkt recht wenig zu tun. Die Paraphrase war aber insofern wichtig, weil es uns ein Thema als Gruppe beschert hat, das diesem paradoxen Setting noch eines draufgesetzt hat: Insofern, als dass es in unserem Setting von nicht-Tänzerinnen es ja zuerst, auf sich selbst bezogen, heißen müsste: „I never knew, what I did as a dancer“. Und ehrlich gesagt vielleicht sogar: Ich weiß überhaupt nicht, was ich tue. Nicht einmal nur als Tänzerin. Vielleicht hat die Auseinandersetzung mit dieser Thematik aber andere emanzipative Momente aufgenommen, zumindest ist so die Behauptung und die Hypothese: Dass sich die Dinge transformieren. Vielleicht im obigen Sinne dieser Auseinandersetzung mit großen inneren Ansammlungen. Es ist ja im Zusammentreffen von Menschen mitunter schon oft so viel an innerem „Material“ da, dass man gar nicht mehr weiß, wie man miteinander reden soll. Wo man überhaupt beginnt. Man redet dann oft über Platzhalterthemen der Kunst, über Kulturpolitik oder über die eigene Überarbeitung. Wobei sich innerhalb dieser Zusammenhänge natürlich ganz essentielle Fragen stellen. Wir haben hingegen paradoxerweise ganz woanders begonnen, wo sich zuerst niemand sicher und professionell fühlen darf: mit unserer aufgeschlagenen Leerfläche des Dancefloors. Auch da wird unter anderem über Kulturpolitik und die eigene Überarbeitung geredet. Aber auch über andere Dinge und Referenzen, die einem sozusagen während der Bewegungspraxis einfach eingefallen sind. Es ging dabei insgesamt aber so gar nicht um Selbstdarstellung oder Selbstverwirklichung. Deshalb wurde dann auch, glaube ich, eine eigentliche Sichtbarmachung von Künstlerinnenschaft oder Kulturfrauenexistenz als Einzelthema nicht verfolgt. Ich glaube, das hat im Endeffekt als herausgearbeitete eigene Themenstellung nie jemanden interessiert. Sondern es ging vielleicht vielmehr, wieder im doppelten Wortsinn, um einen gemeinsamen Beweggrund. Der findet sich natürlich im Inneren, aber auch materiell wurde er sozusagen sinnbildlich aufgeschlagen: quadratisch an verschiedenen Orten. Und es gab eine neue Bewegung, im buchstäblich körperlichen Sinn, auch wenn wir die erst zusammen kennengelernt haben. Überhaupt brachte diese ganze Dancer-Sache das bereits angesprochene paradoxe Moment ein: Klar wussten wir nie, was wir als Tänzerinnen gemacht hatten, wenn wir nie welche waren. Natürlich kamen dann die Transformation der Ebenen, die Diskussionen ins Spiel, viele Transformationen, sogar diese komplette Symbolik des „Tanzens“ als Lebensmetapher ließ sich nicht ganz vermeiden – aber das kann ja in Momenten auch ganz ok sein, warum nicht. Und ganz nebenbei, nochmal auf das Quadrat bezogen: Es kamen auch andere künstlerische Bezugspunkte ins Spiel, als wir uns mit diesem Quadrat beschäftigt haben … Bruce Nauman oder Samuel Beckett. Aber das ist eine andere Geschichte. Und Malevich, das wäre eigentlich auch noch was.
7 Das gleichzeitige Ja und Nein sagen.
Ein Bezugspunkt war für mich, wie schon erwähnt, die wilde Auseinandersetzung mit Begriffen wie Kollektive, oder auch Quasiobjekte. Im Prinzip gefällt es mir, dass man innerhalb eines Projektes weit auseinanderdriftende Widersprüche anlegt. Die sich eventuell gar nicht mehr in eine Synthese führen lassen. Vielleicht geht es hier sogar um eine andere Dialektik. Weil wir ja anderes Material haben. Mir fällt auf, wie gedanklich angefüllt dieses Ballett ist – wie dieses simple quadratische, tänzerische Agieren, auch im erweiterten öffentlichen Raum, überhäuft ist mit Überlegungen. Andererseits ist diese Anhäufung in jeder Beziehung Realität. Diese jeweils eigene und individuelle Position der vielen Dinge und Zusammenhänge, der Referenzen und der sämtlichen körperlichen, emotionalen und kognitiven Bezugspunkte und Erfahrungen, die wir mitbringen, und die wiederum eingebettet sind in größere Systeme. Auch die Ebene der Wünsche und Vorstellungen. Im oben genannten Sinne des „If I Were A Dancer“ und dann in Erweiterung: Ich bin zuerst mein eigener kollektiver Zusammenhang, wir begegnen uns in Vielschichtigkeit, auch im Sinne einer persönlichen Ansammlung von Material, das wir von Haus aus dabeihaben. Und wir machen was gemeinsam. Die genauen Umstände und Behauptungen gilt es in ihrer Richtigkeit vorerst gar nicht zu beantworten … das kann einmal so als Behauptung und auch Gegensatz so bestehen bleiben … als nicht-rationaler Untergrund oder nicht verarbeitete Aufschichtung von Rationalität, Irrationalität, inneren oder äußeren Dingen oder was auch immer – es gibt ja verschiedene Materialgebilde oder Zusammenhänge. Man könnte damit auch sagen, dass wir sogar gleichzeitig ja und nein sagen zur Kunst, zwischen all diesen Systemen und Begriffen, und immerhin sind wir ja auch keine Tänzerinnen und nun doch welche. Jedenfalls bildeten wir zusammen ein neues Gemeinsames, das die Einzelnen nicht schlucken, sondern ihnen Platz einräumen sollte. Man könnte auch sagen, dass es sich hier, in diesem Kulturfrauenballett, auch um ein Kollektiv zur Bekräftigung der Einzelnen handelt. Zumindest ist das einmal so gefallen. Aber wahrscheinlich kann man auch dazu ja und nein sagen. Und es ist sicher keine von allen geteilte Erfahrung. Ist das dann, in einer solchen Offenheit definiert, überhaupt noch Kunst? Das alles, diese Komplexität der Widersprüche, die ja real vorhanden sind, lässt sich vielleicht auch nur mehr mit einem gleichzeitigen „ja“ und „nein“ erfassen. Und das ergibt ein spezielles Verhältnis: Also könnte man auch sagen, dass das, was da gemacht wird, Kunst ist und gleichzeitig nicht Kunst. So wie es ja ein Ballett ist und auch nicht. Und so wie ich mich selbst ja dabei, als einzige Professionelle sozusagen, als Choreographin verstehen könnte und wegen der vielen anderen Dinge die ich mache, auch wieder nicht. Jedenfalls geht es auch um Realitäten und innerhalb eines klar aufgeschlagenen Professionistinnen-Begriffwerks um einen Wunsch nach einer Kunst, die Freiräume aufmachen soll.
8 Ein Tanzprojekt. Ein Quasiballett.
Das Ballett ist ein Begriff zur strategischen Offenheit, eine Leerstelle, Leerfläche. Natürlich ein ironischer Rückgriff auf die Geschichte. Ein angestaubter Begriff erlaubt oft gerade wegen seines lachhaften Zusammenhangs mehr Offenheit. Jedenfalls stellt das Präfix „quasi“ in diesem Zusammenhang des Quasiballetts viele fruchtbare Unschärfen her. Das Quasitanzprojekt, sofern man es so nennen möchte, will jedenfalls nichts Bestimmtes sein in einer Welt, die ohnehin so klar bestimmt nicht mehr vorhanden ist. Sofern sie nicht brutal simplifiziert wird, was leider auch gemacht wird. Es macht das Nicht-Deckungsgleiche zum grundsätzlichen Prinzip.
Es gibt dabei einen Auseinandersetzungszusammenhang mit theoretischen Referenzpunkten. Trotz des Wissens darum, und noch viel mehr um das Wissen einer theoretischen Herumwilderei, geht es dennoch um eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Dingen, die relevant sind. Dinge, die für uns Potential zur Freiheit, Emanzipation, zur Theorie und auch zur persönlichen Erfahrung haben. Und hier im Speziellen liegt ein besonderer Ansatz in der Behauptung „Ich bin mein eigenes Kollektiv“ – nicht weil es um Ego und Selbstdarstellung geht, sondern im Gegenteil darum, dass sich Menschen mit sämtlichen Erfahrungs- und Wissensebenen begegnen. Dass hier möglicherweise überhaupteine andere Kommunikation passiert, dass neben dem üblichen Gerede in wesentlicher Weise die intellekt-, wesen- und dinghaften Ansammlungen miteinander kommunizieren und zusammenwirken. Das Gute ist: Neben diesem ganzen Herumgedenke gab es einen wirklich handfesten Praxisteil, also den Tanz; und eine eigenständig sich transformierende Umsetzungsebene der bespielten Quadrate – als gut angelegte Gegenbewegung zu diesen Behauptungen und zu allem Möglichen. Das Gute ist, dass man sich manchmal intensiv gedanklich mit etwas beschäftigt, und dann bringt es praktisch andere Ergebnisse als erwartet, die sich wiederum dann wieder anders überprüfen und einspeisen lassen – das ist quasi Theoriehypothese im guten Sinn. Und auch ein spannendes Projekt, das sich aus sich selbst heraus und mehrfach transformiert hat.
Text von Tanja Brandmayr, geschrieben im Herbst 2015 bis Sommer 2016.
Kulturfrauenballett, Teil 2 – Ein Projekt von Tanja Brandmayr und Kunstraum Goethestrasse xtd.
Fotografische und filmische Begleitung: Reinhard Winkler und Julian Pöschl / dorfTV
Fotocollagen: Beate Rathmayr
Alle Teilnehmerinnen des Kulturfrauenballetts, Teil 2, Tanzpraxis und Quadrat-Inszenierung: Suna Arslan, Renate Billlensteiner, Susanne Blaimschein, Katharina Brandl, Claudia Czimek, Claudia Dworschak, Sabine Funk, Wiltrud Hackl, Sonja Meller, Beate Rathmayr, Heidemarie Sauer, Getraud Sobotka, Betty Wimmer.
Zuvor – Teil I des Kulturfrauenballetts:
Kulturfrauenballett, Teil I „If I Were A Dancer, Then …“, Kunstraum Goethestrasse xtd. Tanzpraxis, Recherche, Fotos, Video, Installation, 2013.
Teil I des Kulturfrauenballetts, Text: http://brandjung.servus.at/content/kulturfrauenballett-teil-1
Kurzversion des Ausstellungsvideos (Ausstellungsvideo nicht online):
Kamera: Claudia Dworschak, Beate Rathmayr
Videoschnitt: Claudia Dworschak (mit Tanja Brandmayr)
Mehr über Quasikunst auf dieser Intro-Seite und im Stadtwerkstatt-Kontext.